WOLFSGLÜCK // ÜBER DIE WICHTIGKEIT DER KLEINEN DINGE

Mit einem kleinen Wolf wollte ich das neue Schuljahr letzten August beginnen. Mit einem kleinen Wolf, der ein grossartiger Begleiter für meine DaZ-Kindergartenkinder sein würde. Einer, der Geschichten aus der Welt erzählen kann, der wild und weise, frech und lieb ist, der die Kinder mitnimmt auf eine wunderbare, spannende und lustige Reise.

(Bevor ihr jetzt rätselt, was das mit dem DaZ auf sich hat, denn ich sage euch, es hat schon so zu mach Verwirrung geführt … DaZ bedeutet: Deutsch als Zweitsprache. Das unterrichte ich seit Sommer in einigen Klassen hier in Winterthur. )

Zurück zum Wolf. Ich fand einen allerliebsten Woll-Wolf bei Hanna von Filzfuchs, die wohl die zauberhaftesten Wesen auf der ganzen Welt filzt (Werbung, unbeauftragt aber sehr von Herzen!). Hanna und ich haben ein paar Mal hin und her geschrieben, wegen Eignung für Kindergruppen und Stabilität und so. Aber es war schnell fix, der Wolf ist mein, und ab die Post, war er auf dem Weg zu uns.

Als das Paket schliesslich bei uns ankam und meine Kinder den kleinen Wolf vorsichtig aus dem Papier wickelten, war es, als ob mit ihm auch ein Hauch zarter Liebe und eine Brise Magie aus dem Paket schlüpfen würde. Beide Kinder waren, schwuppdiwupp, Hals über Kopf verliebt, nahmen ihn in ihre Hände und zeigten ihm unsere Welt. Mein Grosser, der Leitwolf, hat dem kleinen Wolf gezeigt, wie er “original wolfsmässig” schleichen und rennen kann. Er hat nämlich die Körperhaltung des Tieres genau so geformt, dass es aussah, als würde hier tatsächlich ein Wolf übers Sofa ziehen.
Und obwohl ich es eh wusste, so hat es mich dennoch berührt, zu sehen, wie die Herzen der Kinder weit geöffnet sind, für kleine Wölfe und allerlei sonst.

Eine Woche später durfte der kleine Wolf dann mit in den Kindergarten. Nach dem Goldtröpfchen kam er in die Kinderrunde und ich erzählte von dem besonderen Besucher und der Frau, dessen Hände ihn schufen.
Die Kinder verteilten Streicheleinheiten und Drücker und schlossen den Gesellen in ihre Herzen.

Aber es gab auch einzelne Kinder, auf dessen Zuneigung der liebe Wolf warten musste.  Sie drückten seine Wolfsbeine in alle Richtungen, drehten sie zusammen, lachten und warfen den Wolf einander zu und im Raum herum. Sie packten ihn am Schwanz, und schwangen ihn – ich sag nur: Wolfszentrifuge – durch das Zimmer. Und einmal, tja, da ist der arme Wolf sogar im Müll gelandet. 

Nach einem dieser Vormittage mit Wolfsmarter versprach ich dem Wolf, ihn wieder mit nach Hause zu nehmen. Vielleicht, so dachte ich, ist es zu früh. Vielleicht hatte ich da zu viel verlangt.
Aber irgendwie blieb er doch. Standhaft und zäh, tapfer und mutig, trotz Beine in alle Richtungen. Wir wollten gemeinsam Deutsch lernen und dabei gleich die Möglichkeit eröffnen, das Zauberhafte, das Schöne und Kostbare, das Warme und Geborgene im Kleinen sehen zu können.
Wir waren bereit, geduldig zu sein.

Lupo, der Wolf, liebt es zu spielen. Er versteckt sich gerne, gerade so, wie die Kinder auch. Und dann müssen wir ihn suchen, oder er sucht die Kinder. Unter dem Tisch, hinter dem Vorhang, auf dem Regal…. Neben den Präpositionen haben wir gleich mitgeübt, wie ein wollener Wolf liebevoll getragen werden kann, wie man ihn sanft von einem Ort zum anderen mitnimmt. Wir übten ein bisschen streicheln und redeten darüber, was er wohl mag, wie es ihm wohl geht, wo die allerbesten Verstecke sind und an welchen Plätzen es sich hervorragend heulen lässt.
Und ganz langsam zog die Fürsorge ein. Fürsorge für ein Wesen, das ja überhaupt und sowieso gar nicht in Echt “lebt”, das eh “nur” irgendwie aus Wolle ist.

Nach und nach wurde Lupo vermisst, wenn er nicht an seinem gewohnten Platz auf die Kinder wartete. Irgendwann war es wichtig, dass er dabei war, dass er während der Stunde gehalten und gestreichelt werden konnte. Manchmal wird er geschnappt und gekuschelt, manchmal schaut er einfach nur zu, wie wir sprechen, singen, spielen und lachen.

Lupo ist ein zäher Kerl mit Mordsgeduld. Ich hätte mich nach der ersten Stunde schon vom Acker gemacht. Aber ich bin froh, dass er es geschafft hat, sein DaZ-Revier einzunehmen und den Kindern zeigt, wie toll es ist, gemeinsam auf den Weg zu gehen, und wie schön es ist, von einem gefilzten, grauen Tier begleitet zu werden, es gar zu mögen und es zu umsorgen, es anzusehen voller Wärme. Ein kleines Fünkchen Liebe ist ein grossartiges Geschenk und öffnet Türen für so vieles anderes auch.

Alles kann ein kleiner Wolf sein. Eine Blume, eine Puppe, ein Stein, ein Gedanke, ein Brief. Versponnen mit unseren Geschichten, durchwoben mit Liebe und von uns selber mit Sorge getragen, können wir erwachsenen Menschen unseren Kindern die Schönheit und die Kostbarkeit eines Wolfes weitergeben. 

Unsere Kinder schauen uns an. Sie beobachten unsere innere und äussere Haltung, betrachten unsere Handgriffe, lauschen unseren Worten, die zu ihrer inneren Stimme werden. Sie nehmen wahr, nehmen auf, wie wir durch die Welt gehen und tun es uns gleich.
Wir sind verantwortlich dafür, unseren Kindern das Schöne und Kostbare dieser Welt zu zeigen und sie darin zu unterstützen, dass sie nicht verlernen, das Leben durch Augen der Liebe, der Begeisterung, Offenheit und Phantasie zu sehen. Dafür, dass für Zärtlichkeit, Fürsorge und Wertschätzung immer Zeit und Platz ist, müssen wir sorgen. Bei kleinen und grossen Dingen.

Nach unseren gemeinsamen DaZ-Stunden macht Lupo gerne ein Nickerchen. Wir haben dazu verschiedene Schlafplätze probegelegen, aber am allerliebsten schlüpft er tatsächlich in einen Hausschuh eines Kindes, rollt sich da zusammen und hat es fein (ich weiss, was ihr denkt, das denke ich jedes Mal, aber Lupo ist da glücklicherweise ganz unkompliziert: ein bisschen müffeln macht ihm gar nichts aus).

Das Schönste ist, dass wir uns genau merken müssen, in welchen Schuhen er schon geschlafen hat. Jedes Kind möchte nämlich, dass sich Lupo in ihrem Hausschuh schlafen legt. Alle Schuhe stehen ihm zur Verfügung, sodass er sich jedes Mal ein anderes Bettchen aussuchen kann. Herzlich willkommen zu sein, geliebt zu werden und lieben zu können ist doch das allerschönste. Was für ein Glück. 

Ich wünsche uns allen von Herzen, dass wir selber immer wieder das Zarte und Schöne sehen und erkennen können. Dass wir den Mut und die Kraft haben, liebevoll hartnäckig zu sein, wenn wir spüren, dass es wichtig und richtig ist, für uns und unsere Kinder.
Ich wünsche uns, dass wir Gelassenheit und Vertrauen in uns und unsere Wege haben, auch dann, wenn der Trend in eine ganz andere Richtung läuft. Dass wir uns trauen, geduldig zu sein, auch wenn die Zeit rast. Dass wir unserer Intuition treu bleiben, an uns glauben, und dass wir immer wieder Momente finden, um uns darauf zu besinnen, was wirklich wichtig ist und was uns tatsächlich berührt. Ich wünsche uns ab und zu ein Wolfsgeheul, laut und wild aus der Tiefe unseres Herzens.

Eine wunderschöne Adventszeit euch und euren Liebsten.
Habt’s fein und schön und licht.
Sandra

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One thought on “WOLFSGLÜCK // ÜBER DIE WICHTIGKEIT DER KLEINEN DINGE

  1. Liebe Sandra, was für ein berührender, herzerwärmender, achtsamer und liebevoller Text über Lupo, das Zarte und Kleine, Kinder und das Leben überhaupt. Und wie der kleine Wolf sich reinkuschelt in den Hausschuh – warm, rund und geborgen, fast als würde sich sein Bäuchlein im Schlaf heben und senken…

    Danke von Herzen für Deine Worte, ich bin sehr gerührt.
    Liebe Grüße aus dem tief verschneiten Österreich, Eva

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