KRABAT // LEICHTER VOR-LESEN // BUCHKLASSIKER ALS “EASY READERS”

Werbung in Zusammenarbeit mit Schweizer Vorlesetag

… In der Nacht, in der sie auf einem Bauernhof bei Petershain schliefen, geschah es zum ersten Mal, dass Krabat jenen merkwürdigen Traum hatte… 

„Oh nö, kein Buch….“, stöhnt einer meiner Schüler leise und lässt sich in den Stuhl fallen. Eben haben wir, meine drei DaZ (“Deutsch als Zweitsprache”) -Burschen aus der sechsten Klasse und ich, über Genitiv, Dativ, Akkusativ und Nominativ gebrütet. Unsere Gehirne simmern noch, als ich die frohe Botschaft verkünde: „Wir lesen ein Buch!“ 

Extra-beschwingt lege ich einen Stapel dünner Bücher vor die Kinder, die mich mit diesem „echt jetzt?“-Blick anschauen. Ich halte Krabat in der „Easy Readers Edition“* in meinen Händen und bin mir ganz sicher: wenn sich der Dunst der vier Fälle erstmal verflüchtigt hat, braucht es nur eine Seite, und schon befinden wir uns mitten in einer abenteuerlichen Reise.

„Obschon“, ich halte inne und tu ein bisschen nachdenklich …, „ich bin mir nicht ganz sicher, ob ihr die Spannung aushaltet. Dies ist nämlich eine echt krasse Geschichte.“
Oha, die Burschen werden wach, schauen sich an. „Pfff, krass? Alter, was ist schon krass“, sagen sie, lachen bissl mitleidig und beginnen dann betont gleichgültig im Buch zu blättern, oder zu “spoilern”, wie sie es nennen. “100 Seiten! Whaaaaaat?”

Dass wir uns das ganze Buch gegenseitig vorlesen, und nicht jeder still und leise für sich liest, führt erstmal nicht zu Applaus.
“Vorlesen ist… anstrengend. Ist voll schwierig, und das Zuhören ist mega mühsam, wenn jemand vor sich hin stottert”, meinen sie, schauen sich an, nicken anerkennend und sind ausnahmsweise alle mal gleicher Meinung.
„Ihr habt recht. Vorlesen ist nicht einfach. Aber ich möchte, dass wir uns gemeinsam auf diesen Weg machen. Es ist eine Geschichte, über die wir viel reden werden, ihr werdet sehen.“ 

Ein leises Schnauben, dann machen wir einen kurzen, aber intensiven und wichtigen Abstecher in Preusslers Biografie und versuchen uns ein Bild zu machen von dem Mann, der diese unheimlich spannende Geschichte der 12 Müllersknappen vor 50 Jahren aufgeschrieben hat.
Schliesslich öffnen wir die Bücher und sind nach den ersten Seiten „Krabat” schon ganz und gar in der schwarzen Mühle am Koselbruch.

… Jetzt sah Krabat die Mühle. Da lag sie vor ihm im Schnee, dunkel und unheimlich, wie ein böses Tier…

Von nun an lesen wir einander jede Woche ein Stück Preussler vor. Jeder liest so viel er mag. Wir nehmen allen Druck raus, sodass Freude und das Ausprobieren genug Platz haben. Ich freue mich, wie gerne sie vorlesen, wie sie versuchen, den Burschen in der Mühle Charakter zu verleihen und die Stimmungen stimmlich einzufangen. Es ist schön, wenn sie spoilern, wenn sie auf die Uhr schielen, um zu sehen, ob sich noch ein Kapitel ausgeht.

Vorlesen braucht Mut und viel Konzentration. Es gelingt nicht immer gleich gut, aber das ist in Ordnung. Wir lesen, hören zu, versuchen geduldig zu sein, wenn es mal nicht gelingt, wiederholen die Sätze, besprechen die Wörter, die wir nicht verstehen, nehmen sie gleich in unsere Sammlung auf und suchen nach Synonymen.

… Krabat, der Rabe, machte die Flügel breit und begann zu fliegen. Unsicher flog er durch die Kammer, um den Tisch, stiess gegen Buch und Totenkopf und flog dann zu den anderen Raben auf die Stange…

Immer wieder halten wir inne, um zu reden, um nachzudenken, nachzufragen.
“Krabat” braucht Zeit, er braucht ganz unbedingt einen Rahmen, den gemeinsamen Austausch und Raum, um (auch elementare) Fragen und Gedanken aufzufangen. Davon entstehen im Laufe der Geschichte viele, und es wäre jammerschade, würde man nicht verweilen, genau hinhören, gemeinsam beratschlagen und hin und wieder ins Philosophieren kommen: Warum lassen Menschen sich auf andere ein, obwohl sie spüren, dass es nicht gut kommt? Was, wenn einem das Denken und die freie Meinung verboten wird? Was bedeutet Macht, wenn man dafür seine Freiheit vergibt? Was ist Freundschaft? Was Vertrauen? Und welche Wunder kann bedingungslose Liebe bewirken?

Die gemeinsamen Nachmittage mit Krabat, Tonda und Juro werden zu spannenden und konzentrierten Stunden.
„Die Geschichte ist voll krass!“, sagen sie, und blättern zu Beginn der Lesestunden ungeduldig in den Büchern. Ein bisschen bin ich froh, dass ich nicht zu viel versprochen habe.

… Er zeigte ihm, wie sich das Messer öffnen liess. Die Klinge klappte heraus, sie war schwärzlich verfärbt…

Vorlesen kann Gemeinschaft schaffen und bringt uns auf eine feine Art näher. Das direkte, gemeinsame Erleben und die Auseinandersetzung mit dem Gelesenen zeigen, wie vielfältig Meinungen und Blickwinkel in einer Gruppe sein können, und lehren uns, dass Mehrperspektivität ein kostbarer, wichtiger Schatz ist.
Fragen zu stellen, Bedenken und persönliche Meinungen – auch weit über das Gelesene hinaus – zu äussern und diese zu vertreten, ist nicht immer leicht (in einer ziemlich coolen Peergroup). Es braucht Courage und Vertrauen – für dessen Nährboden wir Erwachsenen verantwortlich sind.

Vorlesen bildet ein Gefühl für die Sprache. Wie beim Hören von Musik, kann das Vorlesen eine Sprache spür- und erlebbar machen. Das mitzutragen ist ein Privileg.

… Während sie auf die Häuser zugingen, fing es zu schneien an, leicht und fein wie Mehl, das vom Himmel auf sie niederfiel…

Dann war er da, der letzte Satz. Wir schliessen das Buch.
„Und nun? Wie gehts denn nun mit Krabat, Kantorka und all den anderen weiter?“ Und der Raum füllt sich mit der Frage: „Wie gehts denn nun mit uns weiter?“ 

Die Stille nach einem ausgelesenen Buch ist manchmal wahrlich schwer. Noch einmal blättern die Kinder durch das dünne Buch, spoilern rückwärts, sozusagen, besuchen nochmals die Ereignisse, die wir während der letzen Wochen mit den Mühlknappen durchlebt haben und erzählen einander davon. “Krabat” werden wir nun niemals nicht mehr kennen.

„Und was lesen wir als nächstes”, fragen sie dann.
„Tja, also, erstmal verdauen wir den Koselburch und dann…”, ich tu ein bissl nachdenklich und sage: “Ich kenne da so eine Geschichte. Aber ich weiss nicht so recht… Die ist echt krass.”
Die Burschen lachen, schütteln ihre Köpfe: “Krass, was ist schon krass?”

*”Easy Readers” / “Deutsch-leichter lesen” Ausgaben sind gekürzte Serien von Buchklassikern, deren Originaltexte in vereinfachte Sprache übersetzt wurden und in denen schwierige oder seltene Wörter gleich erklärt werden. Die gekürzten und vereinfachten Fassungen sind wunderbare Türöffner für alle, für die Deutsch eine Fremdsprache ist, oder eben auch für all jene, für die Lesen eine Herausforderung ist. Es ist wunderbar, wenn einfach alle Menschen Zugang haben zu grossartigen Standardwerken grosser Schriftstellerinnen und Schriftsteller.
Krabat wird empfohlen ab 12 Jahren.

Von Herzen wünsche ich euch spannende Buchabenteuer und innige Momente beim Vorlesen.
Habts fein und schön und wunderbar.
Alles Liebe
Sandra vom DaZ-Literaturclübchen : )

Dieser Bericht ist in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Vorlesetag entstanden. Wir Autorinnen und Autoren der Schweizer Familienblogs unterstützen den Schweizer Vorlesetag – eine wunderbare Initiative des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien SIKJM. Bis zum Vorlesetag am 18. Mai findet ihr spannende und abwechslungsreiche Blog-Beiträge rund um das Thema Vorlesen auf der Seite “Schweizer Vorlesetag” und direkt bei den Bloggerinnen und Bloggern: 

Die Angelones: Podcast-Trilogie zum Thema Vielfalt in Kinderbüchern
Mama kann das: Dialogisches Lesen
Mamarocks: Globi – Yay or nay?
Mint und Malve: Kinderbücher gegen Rassismus
Switzerland Travel Family: Vorlesen mit Kindern im Kindergartenalter

Am 18. Mai findet ausserdem im Coworking Space Tadah in Zürich ein Vorlesenachmittag mit Autor Alain Eicher statt. Er liest aus seinem Buch Gian & Giachen vor.

Magst du Teil des Schweizer Vorlesetags werden? Unter allen, welche eine Vorleseaktion eintragen, werden fünf Bücherpakete verlost! Viel Glück!

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4 thoughts on “KRABAT // LEICHTER VOR-LESEN // BUCHKLASSIKER ALS “EASY READERS”

  1. Liebe Sandra, du bringst es wunderbar auf den Punkt: Ja, vorlesen ist anstrengend. Da haben deine DAZ-Kinder recht. Vorlesen braucht Mut und Konzentration. Aber – und das ist so schön: “Vorlesen kann Gemeinschaft schaffen und bringt uns auf eine feine Art näher. Das direkte, gemeinsame Erleben und die Auseinandersetzung mit dem Gelesenen zeigen, wie vielfältig Meinungen und Blickwinkel in einer Gruppe sein können, und lehren uns, dass Mehrperspektivität ein kostbarer, wichtiger Schatz ist”. Herrlich, wie du das ausdrückst!

    1. Danke, liebe Rita, für deine Worte und deine Freude am Beitrag. So schön, wenn man gemeinsam Bücher liebt und Texte liest, diskutiert und philosophiert… Auf das dass nie aufhört.
      Alles Liebe
      Sandra

  2. Liebe Sandra
    Danke für den schönen Beitrag! Vor etwa 4 Jahren wurde „Krabat“ hier in Bern im Stadttheater aufgeführt, mit der Musik von den „Kummerbuben“. Davon gibts eine CD, die ist sehr zu empfehlen :-))
    Habe gedacht ich muss diesen Tipp hier noch loswerden,
    Alles Liebe
    Meret

    1. Liebe Meret
      Danke für vielmals für deinen Tipp. Ich habe gesehen, dass es Krabat auch für Schüler als Theaterstück gibt… Das wäre auch ein tolles Projekt.
      Dir eine wunderschöne Woche und ganz liebe Grüsse aus Winterthur.
      Sandra

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