FRÜHLINGSBEGINN IN DER WOHNZIMMERSCHULE // DIE ERSTE WOCHE…

Die Kinder hatten sich auf die Schule zu Hause gefreut: Megasuper!
Ja, ja, dachte ich, das “megasuper” wird sich wohl ziemlich schnell legen, denn irgendwann wird Mama Lehrerin dem Schüler wahrscheinlich sicher auf die Nerven gehen. 
Nun ist die erste Woche in der Wohnzimmerschule vorbei.  
Ein bisschen bin ich erstaunt, aber vor allem bin ich glücklich, dass es uns so gut gelungen ist, in den letzten Tagen.

Es ist für niemanden einfach, zu Hause zu bleiben, die Freunde nicht mehr treffen zu dürfen, sein Tagewerk nicht mehr konzentriert verrichten zu können, auf die geliebten Freizeitaktivitäten und aufs Rumschwanzen zu verzichten. Was so fein nach Cocooning klingt, kann sich ziemlich schnell nach beengt anfühlen. Es ist auch nicht Lotterleben – 24 Stunden im Schlafanzug – alle froh und entspannt… Unsere Tage waren bis jetzt vergnügt und abwechslungsreich, aber auch anstrengend und fordernd, und je nach Hausaufgaben war dann auch aus mit lustig. Es braucht Zeit und Gespür, um einen neuen, gemeinsamen Rhythmus zu finden.


Dabei versuche ich, mich auf Bewährtes, Einfaches, Erdendes und Sinnliches zu fokussieren, in der Hoffnung, wenigstens in den eigenen vier Wänden Leichtigkeit und Geborgenheit zu schaffen, während da draussen ein Sturm durch die Menschheit fegt. Die Geschwindigkeit haben wir rigoros zurückgedreht, das bringt Entspannung, nicht nur für die Kinder, sondern auch für mich. Uns helfen stimmige, schlichte Rituale und eine sinnvolle Struktur, die Halt und neue Normalität schaffen, um in einen aussergewöhnlichen, aber dennoch schönen und lebendigen Alltag einzutauchen. 

Der Lehrer unseres Sohnes mailt uns jeweils am Vorabend die Hausübungen plus ziemlich viel dies und das, was noch geübt, gelesen, aufgesagt, geflötet, gezeichnet und erledigt werden sollte.
Dabei haben wir uns entschieden, dass all das getan wird, was dringend muss, aber dass wir vor allem auch all den schönen Dingen aus dem Schul- und Kindergartenalltag Platz geben wollen. Turnen, zum Beispiel, Backen, Malen, die Pausen und das gemeinsame Jausenessen. Und Unsinniges, so sind wir uns einig, lassen wir einfach sausen. So viel Freiheit muss sein. Und schliesslich bin ich Scheff hier im Wohnzimmer.

Von unserer ersten gemeinsamen Schulwoche erzähle ich euch hier. 

Guten Morgen 
Unsere Tage beginnen wir wie immer. Wir frühstücken gemeinsam und machen uns dann fertig für den Tag. Auch wenn es verlockend ist, die Tage bequem im Pyjama zu verbringen; es ist ein anderes Gefühl und eine andere Stimmung, wenn man den Schlaf abstreift und sich für den Tag bereitmacht. Alltag ist nicht Wochenende, auch wenn’s momentan fast so daher kommt.

1. Teil

Die Schulglocke klingelt um 8.30 Uhr
Plus-Minus halb neun beginnen wir mit der Wohnzimmerschule. Die Kinder bestanden ganz dringend auf einer Schulglocke, also haben wir die goldene Nikolausglocke zweckentfremdet. Das Läuten ist wichtig, vor allem für die Kleine, die es unglaublich spannend findet, plötzlich auch Schülerin zu sein und stolz ins Schulzimmer zu schlendern, wie ein alter Hase.

Morgenkreis
Wir “sammeln” uns auf dem Wohnzimmerteppich im (sehr kleinen) Morgenkreis (na ja, eigentlich mehr ein Dreieck…)
Auf einem kleinen Tischchen liegt unser Holzkalender, ein Frühlingsgruss von draussen und eine Kerze, deren Morgenlicht wir gemeinsam entzünden. Wenn wir sie entzünden, singen wir ein Lied und lassen sie dann so lange brennen, bis unser Morgenritual zu Ende ist und jeder an seine “Arbeit” geht. Wir musizieren gerne und viel und füllen so den Raum und unsere Herzen mit Atem und Lebensfreude.
Einige der Sprüche, Lieder und Tänze, die, wie ich finde, zum Morgenritual gut passen: 

“Ehe wir beginnen, tief im Herzen drinnen,
zünden wir ein Lichtlein an, das uns wärmend leuchten kann.”

“Sonne, Sonne, Sonnenstrahl, 
leuchte über Berg und Tal,
leuchte uns zum Fenster rein,
leucht’ uns allen, Gross und Klein”
(Schweizerdeutsches Lied von Andrew Bond)

“Früe am Morge, 
‘s erschte Vögeli pfifft im Wald.
Vor’s no taget,
singt au ‘s zweit und ‘s dritt bald.
Chunnt dänn d’ Sunne, singed alli, jung und alt!”
(Kanon aus der Schweiz)

“Früh am Morgen
der erste Vogel pfeift im Wald.
Bevor es Tag wird,
singt der zweite und dritte bald.
Kommt die Sonne, singen alle, jung und alt.”

“Liebes, leichtes, luft’ges Ding, Schmetterling, Schmetterling,
Öffne deine bunten Flügel, fliege über Berg und Hügel,
Liebes, kleines luft’ges Ding, Schmetterling, Schmetterling.”
(aus : Lieder für den Kindergarten, Sibylle Seidel-Weidemann)

Das Lied vom Gwagglibei (Wackelbein)
“Das ist der Kopf von Wackelbein, 
das ist der Kopf von Wackelbein, 
das ist der Wackelkopf vom Wackelbein,
das ist der Kopf von Wackelbein.”
(Dabei den Kopf wackeln und versuchen, dabei NUR den Kopf zu bewegen und die Schultern, Arme… ruhig zu halten. Dann die Arme, die Beine, die Zunge, die Augen, den Rücken, den Bauch… und zum Schluss alles miteinander wackeln.)

Auch das Goldtröpfchen ist ein schönes Ritual für den Morgen.

“Unterricht”
Wenn unser Morgenritual beendet ist, löschen wir die Kerze, und ein jeder geht an seine Aufgabe.
“Hä? Was soll das sein? Mama, ich verstehe das nicht. Wenn ich 90 Minuten dazuzähle, dann geht das ja gar nicht auf. Mama, was soll ich zeichnen. Und wo sind meine Stifte. Wann ist Geschichte?”
Meine Kinder brauchen meine volle Aufmerksamkeit, Begleitung und Unterstützung. Noch ist es eine ungewohnte Situation und ich glaube, sie finden es einfach auch sehr schön, dass wir zusammen sind und gemeinsam “Schule machen”… Meine Arbeit aber bleibt dabei auf der Strecke. Vielleicht pendelt es sich irgendwann ein, oder aber… ich muss mich damit abfinden.

Lebensschule
Aufgaben sind Aufgaben. Aber wir finden es auch toll, in der Zeit unser Ding zu machen. Wir haben vor ein paar Tagen im Wald Hasen entdeckt, und mein Sohn hat in sein Wohnzimmer-Schulheft den Feldhasen gezeichnet und dazu geschrieben. Dazu kamen noch ein großer Feuersalamander, weisse Veilchen und viel Matsch am Bach. Für all diese spannenden Natur-Beobachtungen haben wir extra ein Heft besorgt, in das unsere Kinder Herzensdinge zeichnen und schreiben. Lebensschule bekommt hier so viel Platz wie alles andere.

Jausenpause
Also eigentlich was vom Allerwichtigsten überhaupt. Gemütlich zusammensitzen und essen. Gerne frisches Popcorn (der Grosse bereitet die schon fast ganz alleine zu) oder selbstgebackene Brötchen. 
Passende Jausensprüche:

“Erde, die uns dies gebracht,
Sonne, die es reif gemacht,
liebe Sonne, liebe Erde, euer nie vergessen werde.”
(Christian Morgenstern)

Ach, da kocht die Hasenmutter,
auf dem Ofen Hasenfutter.
Rührt im Topfe 1, 2, 3
Grünkohl, Kraut, Kartoffelbrei.
Und zum Nachtisch 5, 6, 7
gibt es süße Zuckerrüben.
Guten Appetit!

Dann gibt es eine Pause. Bisher konnten wir immer in den Garten gehen und draussen an der Sonne auslüften… 

2. Teil

Grosspapa kann Plutimikation
“Rechnen braucht kein Mensch”, sag ich. Zahlen interessieren mich Null. Nun muss mein Kinder aber das Einmaleins pauken, und da ist eine Bezugsperson wie ich eher hinderlich. Also haben das Kind und der Grosspapa jeden Tag um die selbe Zeit eine Videoverabredung, in der gerechnet, gelacht und mit Zahlen jongliert wird, bis die Köpfe rauchen. Und ja, ab und zu höre ich, wie sie sich lustig machen über mich… Mir aber schnuppe. Hoch zwei!

Lesen, lesen, lesen
“Lesen stärkt die Seele.”
(Voltaire)

Jeden Tag. Eine Seite, ein Kapitel, für sich oder gemeinsam, vorgelesen oder nur mit den Augen… Aber jeden Tag.

Schulschluss
Bevor wir den Wohnzimmerunterricht abschliessen, räumen wir die Schulsachen weg und setzen uns nochmals zusammen für eine Geschichte. Dieses Ritual ist unser feiner Abschluss des Vormittages. 

Wochenplan
Eigentlich braucht man überhaupt gar keine Pläne, denn die Hausübungen in der Mailbox würden die Tage auch füllen, und schliesslich braucht es auch noch Zeit für die Dinge, die sonst immer ein bisschen auf der Strecke bleiben: die gemeinsame Hausarbeit, zusammen kochen, spielen, Frühjahrsputz im Kinderzimmer, musizieren… Trotzdem haben wir uns einen Wochenplan zusammengestiefelt, in dem wir, abgesehen von den Hausaufgaben, unsere schönen Pläne notiert haben… Und die sind nur dann fix, wenn nichts noch Schöneres dazwischenkommt:

Montag: Was Werken oder Handarbeiten
Dienstag: Brötchen oder Brot backen
Mittwoch: Malen mit Wasserfarben
Donnerstag: Turnen oder Yoga machen
Freitag: Backen oder was Süsses zubereiten

Alles doof
Zum Schluss noch dies: Nicht jeder Tag ist gefüllt mit Motivation, Geduld und Lust am Lernen. Es gibt Tage, da ist man müde und hat keine Energie, alles ist irgendwie doof, und auch das finde ich in Ordnung.
Pläne und Aufgaben zu haben ist wunderbar, aber wenn niemand Lust darauf hat, alle überfordert sind oder nicht alle immer alles gemeinsam machen wollen, dann darf ein Entwurf auch einfach mal verworfen werden. Dann ist vielleicht einfach Zeit, ein Bild zu malen oder ein Buch anzuschauen, einen guten Freund anzurufen, ein Spiel zusammen zu spielen oder einfach nur in der selbstgebauten Hütte zu sitzen und zu träumen.
Und bevor gar nichts mehr geht: Geht mit den Kindern raus. Bewegung an der frischen Luft wirkt wunder, erdet und ist heilsam. Auch nur einen Spaziergang um den Block. Mit viel Abstand und Respekt zu den anderen Menschen kann das Wunder wirken.

Auf dem Zahnfleisch durch die Wohnung 
Ich versuche, nicht zu oft nach den News zu schauen. Nicht, weil es mich nicht interessiert, was da gerade mit uns passiert, sondern weil es mir sofort Energie entzieht. Energie, die ich dringend brauche, weil niemand weiss, wie lange das Social Distancing noch andauern wird.
Noch wichtiger ist es wohl, sich ganz und gar zu verabschieden vom Perfektionismus und den aufgeräumten Bildern von den harmonischen Homeschooling-Familien auf Social Media. Der Druck darf weg, damit die Freude mehr Platz hat.
Denn man kann sich ausrechnen, dass es wohl nichts Anstrengenderes und Unlustigeres gibt, als ein Familienleben auf dem Zahnfleisch. Das weiss ich, ganz ohne Ahnung vom Einmaleins. Bleibt gesund.

Einen zauberhaften Frühlingsbeginn euch allen.
Habts fein und schön und wunderbar.
Alles Liebe, Sandra 

 

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